Dreißig Kinder, neun bis zehn Jahre alt, und das Leitungsteam, zwei junge Mädchen und ich, saßen in der Sonne auf der Wiese und überlegten, was man in der nächsten Gruppenstunde tun sollte, falls das Wetter noch einmal schön sei. Jemand schlug vor, ein Picknick zu veranstalten, und erhielt begeisterte Zustimmung. In einiger Entfernung hockte noch eine Kindergruppe, Wölflinge heißen sie bei uns. Es wurde der Vorschlag gemacht, diese Gruppe zum Picknick einzuladen.
Einige Kinder wollten sofort losrennen, um die Einladung zu Überbringen. Ich hielt sie aber zurück, um mit den Kindern zu beraten, ob es nicht hübscher sei, die Gruppe mit der Einladung zu überraschen und nur das Leitungsteam einzuweihen. Ja, damit waren sie einverstanden.
Die Kinder fragten: „Was sollen wir mitbringen?” Nach kurzer Beratung kamen wir überein, daß jeder das mitbringen sollte, was er so am
Nachmittag sowieso ißt, aber in doppelter Menge. Wer also am Nachmittag ein Butterbrot ißt, der bringt zwei Butterbrote mit, und wer einen Apfel ißt, der bringt zwei Äpfel usw. So hatte jeder für einen Gast mitgesorgt. Alles, was zusammenkarrte, sollte dann in die Mitte des Kreises auf ein Tischtuch gelegt werden.
Dann kam der Tag des Picknicks. Da wir mit 50 Kindern rechnen mußten, hatte das Leitungsteam der zweiten Gruppe versprochen, einen großen Streuselkuchen und andere Herrlichkeiten beizusteuern. Sie wollten aber im Jugendheim unsere Einladung abwarten. Lange vor der Zeit waren „meine” Wölflinge versammelt. Ich breitete ein Tischtuch auf der Wiese aus, legte ein Messer darauf, bunte Pappbecher, ein Brettchen und zwei Beutel Karamellen. Christa, aus dem Leitungsteam, legte einen großen Kringel Fleischwurst dazu. Einige Kinder legten spontan Äpfel, Kuchen, Butterbrote und Cola aufs Tischtuch, einige zögerten und trennten sich dann von ihrer Verpflegung. Sie saßen so dicht am Tischtuch, als hätten sie Angst, nichts mitzubekommen, in gespannter Haltung. Etliche Kinder hielten ihre Vorrate mehr oder weniger versteckt zurück. Ich bat die Kinder, alle einen Meter vom Tischtuch wegzurücken, und wartete.
Dann kam’s:
“Mensch, Susanna, leg endlich deine Stullen in die Mitte.” Susanne tat’s.
“Bernd, rück deine Birnen raus.”
“Wohl doof, was, die sind aus unserem Garten.”
“Raffzahn!”
“Der hat auch noch seinen Sprudel hinterm Rücken.”
Ich sagte:
“Wenn ihr euer Essen nicht rausrückt, werden unsere Gäste wohl hungrig bleiben.”
“Gäste?” riefen einige, “Wieso Gäste?”
Ich war geschockt und erinnerte die Kinder daran, was wir zusammen besprochen hatten. O ja, sie erinnerten sich langsam, aber da man nun doch nicht viel zu essen habe, wolle man unter sich bleiben, es würde kaum für Gäste reichen, das Äußerten sie mehr oder weniger drastisch. Ich gab zu bedenken, daß man alles, was da lag, teilen könne und daß es auf die Gemeinschaft ankäme — und nicht darauf, ob man satt sei, denn sie alle hätten doch zu Hause noch ein Abendbrot zu erwarten. Wenig Zustimmung. Schweigen! Und dann begriff ich die Gunst der Stunde. Ich fragte:
“Kinder, habt ihr schon mal etwas von der ‘Brotvermehrung’ gehört?”
“Klar”, sagt Markus, “tausend Leute sind satt geworden von zwei Broten oder so, und dann hatten sie noch ‘n paar Eimer voll Krümel.”
“Wer kennt die Geschichte genauer?”
Alle kannten sie, denn sie waren ja erst vor wenigen Monaten zur Erstkommunion gegangen. Till erzählte, dann fragte ich.
“Wenn nun der Junge sein fünf Gerstenbrote und seine Fische nicht herausgerückt hätte?”
Und dann gab es ein tolles Rundgespräch! Wir haben einen Redestab, den hält immer der in der Hand, der das Wort hat, und solange er den Stab hält, darf ihn niemand unterbrechen. Der Redestab ging hin und her. Ergebnis:
Wo keine Liebe, Glaube, Vertrauen ist, kann Jesus auch keine Wunder
tun. Und schließlich schlug Brigitte vor:
“Wir holen jetzt endlich die Gäste, und wenn sie da sind, singen wir, ich sehe einen kommen.”
Als ich bat, nun noch auseinanderzurücken, damit die Gäste sehen könnten, daß Platz für sie da sei, taten sie es bereitwillig. Die Gäste brachten nicht nur den großen Streuselkuchen mit, sondern auch bunte Teller, einen Kasten Sprudel, ein großes Brot und noch eine Wurst. Friede im Kreis, behagliches Kauen. Wie schön war das Leben, aber schon nahte die “Schlange”. Die großen Pfadfinder schlenderten zielbewußt auf uns zu. Einige Kinder wurden nervös, andere sahen ihnen vertrauensvoll entgegen. Jemand aus dem Leitungsteam der Großen raunte mir zu:
„Wir wollen euch überfallen.”
Ich murmelte leise:
„Sagt euern Leuten unauffällig, sie möchten sich außerhalb des Kreises hin-
setzen und nur zusehen, ich erklär’s euch später.”
Sie taten es und sahen uns fünf Minuten lang mit „…Augen* zu. Dann ergriff Martino den Redestab.
„Ich möchte vorschlagen, daß wir alles, was noch auf dem
Tischtuch liegt, mit den Großen teilen.”
Zustimmung in der Runde, kein Einspruch, Applaus der Großen. Einer steigt in den Kreis, teilt und läßt austeilen. Noch sitzen sie draußen. Ernsti bittet um den „Redeömmes”, wie er sagt. „Ich finde, wenn die Großen mit uns essen, dann sollen sie auch mit uns im Kreis sitzen.”
Großer Beifall. So essen wir trinken und singen dann auch. Der Vikar sieht es aus dem Fenster, kommt dann, läßt sich erzählen und macht einige Aufnahmen. Er kriegt auch noch ein Stück Fleischwurst.
Als die Zeit der Gruppenstunde um ist, bedanken sich die Großen für
die Gastfreundschaft und bieten sich an, den Picknickplatz sauberzumachen. Das lassen die Kleinen sehr gern zu und sind wie der Blitz verschwunden! Am übernächsten Sonntag im Kindergottesdienst erzählen und spielen einige Kinder ihre Erfahrungen beim Picknick. Da hört eine staunende Gruppe unten in den Bänken, daß sie fast nicht eingeladen worden wären, und dann kommt auch noch der Vikar in der
Predigt darauf, daß der Apostel Paulus schon mal eine ganze Gemeinde brieflich beschimpfte, weil sie auch nicht begreifen wollte, was Jesus meinte. Ich bin nicht sicher, ob Paulus wirklich gesagt hat:
„Ihr Freßklötsche, ihr haut euch da den Bauch voll — und laßt andere hungrig zusehen und nach Hause gehen.”
Es war wohl eine sehr freie Übersetzung.
Sehen Sie, es gibt zehn oder zwanzig Gruppenstunden, da spielen Sie mit den Kindern Astronauten oder Indianer. Während Sie dabei Partnerschaft und Selbständigkeit mit den Kindern einüben, denken Sie kaum an Kirche. Aber plötzlich ist da eine Gelegenheit, da machen Sie „Blinde sehend”. Da können Sie jemandem auf die Füße helfen, der lahm herumging und mit seiner Freizeit nichts anzufangen wußte. Und Sie können wahrlich „Tote erwecken”, wenn Sie mithelfen, in einer Gemeinde gute Jugendarbeit ins Leben zu rufen. Sie verkünden das Evangelium und helfen so mit, das „Brot zu vermehren”. Hat Jesus nicht gesagt: „Ihr werdet noch viel größere Dinge tun?”
A. K.
DPSG Lutgendortmund
(Aus „Frau und Mutter” 3/78)